Eigenschaften der thermodynamischen Potentiale: Die freie Energie
Die freie Energie F = U - TS ist die (negative) Legendre-Transformierte der inneren Energie U, wenn diese als Funktion der extensiven Variablen Entropie S und Volumen V dargestellt wird: U = U(S, V); die Legendre-Transformation wird dabei bezüglich der Variable S berechnet. Es ist dann leicht nachzuweisen, dass die freie Energie ein thermodynamisches Potential ist und dass die Änderung der freien Energie bei isothermen Zustandsänderungen mit der Zufuhr von mechanischer Arbeit übereinstimmt.
- Einordnung des Artikels
- Einführung
- Die Legendre-Transformation
- Die freie Energie als die Legendre-Transformierte der inneren Energie
- Veranschaulichung der Legendre-Transformation für eine isotherme Zustandsänderung
- Die freie Energie als thermodynamisches Potential
- Anforderungen an ein thermodynamisches Potential
- Die kalorische und die thermische Zustandsgleichung
- Freie Energie und mechanische Arbeit
Einordnung des Artikels
- Ausgewählte Kapitel der Mathematik (für Programmierer, Informatiker, Ingenieure und Naturwissenschaftler)
- Anwendungen in Physik und Technik
Weiter werden hier die Ergebnisse aus Die Berechnung der Entropie des idealen einatomigen Gases verwendet. An mathematischen Kenntnissen sind der Umgang mit mehrdimensionalen Funktionen (partielle Ableitungen, vollständiges Differential) und die Legendre-Transformation nötig. Eine ausreichende Einführung zu Letzterer findet sich unter Die eindimensionale Legendre-Transformation: Motivation, Definition und einfache Beispiele.
Einführung
In Die innere Energie als thermodynamisches Potential wurde diskutiert, welche Eigenschaften die innere Energie als thermodynamisches Potential auszeichnen:
- Stellt man die innere Energie U als Funktion der extensiven Variablen Entropie S und Volumen V dar, also U = U(S, V), so lassen sich aus dieser Funktion sowohl die kalorische als auch die thermische Zustandsgleichung rekonstruieren. In diesem Sinn enthält die Funktion U = U(S, V) die gesamte Information über ein thermodynamisches System.
- Zusätzlich gilt für adiabatische Zustandsänderungen, dass ΔU = ΔW ist: das heißt die zugeführte mechanische Arbeit wird allein zur Erhöhung fer inneren Energie verwendet (analog bei Abgabe von mechanischer Arbeit). Für eine beliebige Zustandsänderungen kann die Gleichheit ΔU = ΔW natürlich nicht gelten - dies kann man allein daraus ablesen, dass U eine Zustands- und W eine Prozessgröße ist.
Damit ist es naheliegend zu fragen, ob es nicht für andere Zustandsänderungen entsprechende Größen gibt, die
- einerseits die Eigenschaften eines thermodynamischen Potentials besitzen und
- deren Veränderung bei der jeweiligen Zustandsänderung andererseits mit der Zufuhr von mechanischer Energie ΔW übereinstimmt.
Im folgenden wird gezeigt, dass die in Die freie Energie und die gebundene Energie eingeführte freie Energie F = U - TS genau diese Eigenschaften für isotherme Zustandsänderungen besitzt. Die Gleichheit ΔF = ΔW für isotherme Vorgänge wurde dort bereits diskutiert; daher sollte man F besser als die freie Energie für isotherme Zustandsänderungen bezeichnen.
Die Eigenschaften der freien Energie F lassen sich besonders leicht untersuchen, wenn man den mathematischen Zusammenhang aufklärt, der sich hinter der Definition F = U - TS verbirgt: Die freie Energie ist die (negative) Legendre-Transformierte der inneren Energie, wenn man diese als Funktion der extensiven Variablen angibt: U = U(S, V) und die Legendre-Transformation bezüglich der Variable S berechnet. Somit ist die freie Energie lediglich eine andere Repräsentation der Funktion U(S, V). Und daher muss die freie Energie dieselbe Information über das betrachtete thermodynamische System enthalten wie das thermodynamische Potential U(S, V).
Die Legendre-Transformation wurde in Die eindimensionale Legendre-Transformation: Motivation, Definition und einfache Beispiele eingeführt und wird hier nicht näher erläutert.
Es wird ein Beispiel ausführlich diskutiert, wie man ausgehend von der inneren Energie U = U(S, V) bei einer isothermen Zustandsänderung die Berechnung der freien Energie veranschaulichen kann.
Die Legendre-Transformation
Die freie Energie als die Legendre-Transformierte der inneren Energie
In Die freie Energie und die gebundene Energie wurden die freie Energie F und die gebundene Energie G dadurch motiviert, dass man eine Zerlegung der inneren Energie U gesucht hat mit folgenden Eigenschaften:
- Die innere Energie U ist die Summe aus der freien Energie und der gebundenen Energie: U = F + G.
- Bei isothermen Zustandsänderungen gilt:
ΔF = ΔW und ΔG = ΔQ.
Das heißt eine Zufuhr von mechanischer Arbeit ΔW verändert ausschließlich die freie Energie F und eine Zufuhr von Wärme ΔQ verändert ausschließlich die gebundene Energie G. Da dies lediglich für isotherme Zustandsänderungen gilt, sollte man F und G besser als die freie beziehungsweise gebundene Energie für isotherme Prozesse bezeichnen.
Indem man den 1. Hauptsatz der Thermodynamik, also
ΔU = ΔW + ΔQ,
untersucht, gelangt man zu den Definitionen:
F = U - TS und G = TS.
Abbildung 1 soll jetzt veranschaulichen, wie diese Definitionen von F und G mit der Legendre-Transformation zusammenhängen. Dazu wird die Legendre-Transformation so verwendet, wie es in der Mathematik üblich ist (Genaueres dazu findet man in Die eindimensionale Legendre-Transformation: Motivation, Definition und einfache Beispiele).
Fasst man die innere Energie als Funktion der extensiven Variablen S und V auf, so ist die partielle Ableitung von U nach der Entropie S (bei konstant gehaltenem Volumen V) gleich der Temperatur T. Daher ist es einfach, in Abbildung 1 links die freie Energie und die gebundene Energie G zu identifizieren. Man trägt dazu (zu einem speziellen Wert des Volumens V) die innere Energie als Funktion der Entropie auf und bildet die Tangente an den Graphen in einem Punkt (S, U(S, V)). Die gebundene Energie G = TS kann man jetzt auf der y-Achse als die Differenz zwischen U(S, V) und dem y-Abschnitt der Tangente ablesen (türkisfarben in Abbildung 1 rechts). Und der y-Abschnitt der Tangente stimmt mit der freien Energie F = U - TS überein (dunkelrot in Abbildung 1 rechts).
Vergleicht man die Berechnung von F zur gegebenen inneren Energie U(S, V) mit der Definition der Legendre-Transformation, so erkennt man, dass F gerade die negative Legendre-Transformierte ist. In der Physik wird das Vorzeichen oftmals nicht diskutiert, und daher F salopp als die Legendre-Transformierte von U bezeichnet.
Es ist jetzt naheliegend zu vermuten, dass man weitere thermodynamische Potentiale durch geeignete Legendre-Transformationen berechnen kann - dies soll hier nicht weiter untersucht werden.
Veranschaulichung der Legendre-Transformation für eine isotherme Zustandsänderung
In Die freie Energie und die gebundene Energie wurde unter anderem ein Beispiel für eine isotherme Zustandsänderung diskutiert. Nachdem man die freie Energie als die (negative) Legendre-Transformierte der inneren Energie erkannt hat, kann man die Berechnung der freien Energie auch im Diagramm von U = U(S, V) veranschaulichen; dies geschieht in den Abbildungen 2 - 5. Die Darstellungen sind rein qualitativ, die Skalierung der Achsen ist willkürlich gewählt.
- Abbildung 2 zeigt für das ideale Gas die innere Energie als Funktion der extensiven Variablen Entropie S und Volumen V. Zusätzlich sind für eine reversible, isotherme Zustandsänderung einige Zwischenzustände eingetragen (als Histogramm). Dass es sich um eine Isotherme handelt, kann man daran erkennen, dass die innere Energie konstant bleibt, denn alle Zustände befinden sich auf einer Ebene mit U = const (gelb eingetragen, hier U = 20). Das Anfangsvolumen beträgt V1 = 0.5, das Endvolumen V1 = 3.0 (in willkürlichen Einheiten).
- Abbildung 3 zeigt nochmals U = U(S, V) und die isotherme Zustandsänderung. Jetzt sind für den Anfangs- und Endzustand die Funktionen U(S, V1) und U(S, V2) als Kurven auf dem "Gebirge" U(S, V) eingetragen. Es handelt sich jetzt um eindimensionale Funktionen, die lediglich die Entropie S als Variable besitzen.
- Abbildung 4 zeigt dann diese eindimensionalen Funktionen, in einem zweidimensionalen Diagramm (links für V1 = 0.5, rechts für V2 = 3.0). Links: Für den Anfangswert der Entropie S1 wird die Tangente an U(S, V1) eingetragen. Die Steigung dieser Tangente stimmt mit der Temperatur überein. Der Schnittpunkt der Tangente mit der U-Achse liefert den Wert der freien Energie F1 zu Beginn der isothermen Expansion (hier ein negativer Wert). Rechts: Hier wird entsprechend die Tangente zum Endwert der Entropie S2 eingetragen; man erkennt, dass die Steigung identisch ist wie beim Anfangswert (identische Temperatur!). Der Schnittpunkt mit der U-Achse unterscheidet sich aber von dem entsprechenden Schnittpunkt zu S1; man erhält jetzt die freie Energie im Endzustand F2. Gestrichelt ist nochmals die Tangente zu S1 eingetragen. Die Differenz der U-Werte der Achsenschnittpunkte (rot eingetragen) liefert die mechanische Arbeit:ΔW = F2 - F1. (Abbildung 4 zeigt somit nochmals die Überlegungen aus Abbildung 1 und erweitert diese zur Berechnung einer Differenz von freien Energien.)
- Abbildung 5 zeigt diese graphische Bestimmung der freien Energien für einige Zwischenzustände der isothermen Expansion: Man erkennt, wie im Verlauf der Expansion die freie Energie abnimmt.
Aufgabe:
Wie kann man in den Abbildungen 4 und 5 die gebundenen Energien G der dargestellten Zustände sowie die Veränderung ΔG = G2 - G1 der gebundenen Energie bei der isothermen Expansion darstellen?
Die freie Energie als thermodynamisches Potential
Anforderungen an ein thermodynamisches Potential
In Die freie Energie und die gebundene Energie wurde gezeigt, dass die freie Energie die natürlichen Variablen Temperatur T und Volumen V besitzt; dies wird besonders leicht verständlich, wenn man F als die Legendre-Transformierte von U = U(S, V) auffasst: die Legendre-Transformation wird lediglich bezüglich der Variable S durchgeführt, wodurch die Variable V erhalten bleibt und eine neue Variable eingeführt wird. Die neue Variable ist die partielle Ableitung von U nach S, was gerade mit der Temperatur übereinstimmt.
Daher kann man die freie Energie im folgenden Sinn als thermodynamisches Potential auffassen:
- In ihr ist die "gesamte" Thermodynamik enthalten, also die kalorische und thermische Zustandsgleichung können aus dem Funktionsterm F(T, V) abgeleitet werden. Für das ideale einatomige Gas wird dies im nächsten Unterabschnitt gezeigt.
- In Situationen, bei denen sich Temperatur und Volumen leicht kontrollieren lassen, liefert die freie Energie die angemessene Beschreibung des thermodynamischen Systems. (Die Entropie ist natürlich schwer zu kontrollieren, so dass die innere Energie eigentlich nur bei adiabatischen Zustandsänderungen das angemessene thermodynamische Potential ist.)
Zusätzlich gilt für isotherme Zustandsänderungen: Die Zufuhr von mechanischer Arbeit stimmt mit der Änderung der freien Energie überein:
F2 - F1 = ΔF = ΔW,
was man auch umgekehrt lesen kann. Soll bei einem Prozess mechanische Arbeit gewonnen werden, so lässt sich aus der freien Energie im Anfangs- und Endzustand der maximale Arbeitsgewinn berechnen; mit maximal ist hier gemeint, dass eventuell auftretende Irreversibilitäten zu einer Verringerung von ΔW führen können.
Die kalorische und die thermische Zustandsgleichung
Abbildung 6 zeigt, wie man aus der freien Energie F = F(T, V) die kalorische und thermische Zustandsgleichung gewinnen kann - somit enthält die Funktion F(T, V) sämtliche Informationen über das betrachtete thermodynamische System:
- Aus dem vollständigen Differential von F liest man ab, welche Gleichungen für die beiden partiellen Ableitungen von F gelten (siehe Gleichung (1) und (2) in Abbildung 6).
- Berechnet man diese partiellen Ableitungen mit der Definition F = U - TS, so erhält man die Terme in Gleichung (3) und (4).
- Setzt man jetzt die beiden Terme gleich, die man jeweils für die partiellen Ableitungen gefunden hat, so erhält man diejenigen Gleichungen, hinter denen sich die kalorische und thermische Zustandsgleichung verbergen, sihe Gleichung (5).
- Speziell für das ideale einatomige Fas erhält man die bekannten Gleichungen (6).
Freie Energie und mechanische Arbeit
Der Zusammenhang zwischen freier Energie und mechanischer Arbeit wurde in Die freie Energie und die gebundene Energie ausführlich diskutiert, die Ergebnisse sollen hier kurz zusammengefasst werden. Wie dort argumentiert wurde, sind die Eigenschaften der freien Energie leichter verständlich, wenn man sie zusammen mit der gebundenen Energie
G = TS, oder G = U - F
diskutiert.
1. Bei isothermen Zustandsänderungen gilt
ΔF = ΔW und ΔG = ΔQ.
Somit spielt die freie Energie diejenige Rolle für isotherme Zustandsänderungen, die die innere Energie U für adiabatische Zustandsänderungen spielt, dort gilt: ΔU = ΔW.
2. Bei beliebigen Zustandsänderungen gibt es einen zusätzlichen Term, der zu einem Energieaustausch zwischen freier und gebundener Energie führt. In differentieller Schreibweise lauten obige Gleichungen jetzt:
dF = dW - SdT und dG = dQ + SdT.
Dieser Austausch-Term tritt immer auf, wenn die Temperaturveränderung bei einem Prozess ungleich null ist.