Konzepte der Statistischen Mechanik: Mikrozustände und Makrozustände
Die statistische Mechanik versucht das makroskopische Verhalten von Materie zu erklären, indem anstelle einer detaillierten mikroskopischen Beschreibung Vergröberungen vorgenommen und statistische Methoden angewendet werden. Ein zentrales Konzept ist dabei die Definition von Makrozuständen, die Äquivalenzklassen auf der Menge der Mikrozustände erzeugen. Dieses Konzept und welche Abzählprobleme dabei entstehen, wird an einem einfachen Modellsystem erklärt.
- Einordnung des Artikels
- Einführung
- Die phänomenologische Thermodynamik und die Aufgabe der statistischen Mechanik
- Mikrozustände und Makrozustände
- Das Modellsystem und die Definition von Mikro- und Makrozuständen
- Das Modellsystem: unterscheidbare Teilchen mit äquidistanten Energieniveaus
- Die Definition von Mikro-, Energie- und Makrozuständen
- Abzählen der Mikro- und Makrozustände
- Die Anzahl der Mikrozustände
- Die Anzahl der Makrozustände
- Die Anzahl der Mikrozustände pro Makrozustand
- Beispiele
- Diskussion und weitere Fragestellungen
Einordnung des Artikels
- Ausgewählte Kapitel der Mathematik (für Programmierer, Informatiker, Ingenieure und Naturwissenschaftler)
- Anwendungen in Physik und Technik
- Statistische Mechanik
- Konzepte der Statistischen Mechanik: Mikrozustände und Makrozustände
- Statistische Mechanik
- Anwendungen in Physik und Technik
Die Abzählprobleme, auf die man bei den folgenden Untersuchungen stößt, wurden in Spezielle Abzählprobleme: Kombinationen mit Wiederholungen und die Beweismethode Stars and Bars und Spezielle Abzählprobleme: Partitionen besprochen.
Einführung
Die phänomenologische Thermodynamik und die Aufgabe der statistischen Mechanik
In der phänomenologischen Thermodynamik wird ein System, das sich im Gleichgewicht befindet, durch wenige makroskopische Variablen beschrieben. Dazu kann man sich Materie als ein Kontinuum vorstellen, die Existenz von Atomen oder Molekülen wird in der phänomenologischen Thermodynamik nicht vorausgesetzt und erschien in ihrer Anfangszeit wenig plausibel. Als typisches Beispiel diene ein Gas eines Stoffes wie in Abbildung 1 links:
- es ist in einem Volumen V eingeschlossen,
- es besitzt eine Stoffmenge n (die in der Einheit mol angegeben wird),
- es soll sich im thermischen Gleichgewicht mit der Umgebung der Temperatur T befinden und
- es übt auf die Wände einen Druck p aus.
In der phänomenologischen Thermodynamik wird dann untersucht:
- Wie hängen diese makroskopischen Größen zusammen?
- Wie viele makroskopische Größen benötigt man, um ein System vollständig zu beschreiben?
Die phänomenologische Thermodynamik wird heute im folgenden Sinne als abgeschlossen betrachtet:
- Ihre Gesetze werden in Form der sogenannten Hauptsätze formuliert.
- Diese Hauptsätze erlauben klar zu formulieren, welche Eigenschaften für jedes System gelten und welche Größen für spezielle Systeme experimentell bestimmt werden müssen.
Die Aufgabe der statistischen Mechanik ist es, aus den Gesetzen der klassischen Mechanik mit Methoden der Statistik die Gesetze der phänomenologischen Thermodynamik plausibel zu machen und herzuleiten.
Man kann sich diese Aufgabe leicht veranschaulichen, indem man etwa folgende Fragen stellt:
- Wie kann man den Druck, den das Gas auf die Wände des Behälters ausübt, mit mechanischen Größen der Moleküle erklären?
- Was bedeuten Temperatur und thermisches Gleichgewicht?
- Wie kann man erklären, dass im thermischen Gleichgewicht auf makroskopischer Ebene keine oder nur sehr kleine Fluktuationen der Zustandsgrößen zu beobachten sind, obwohl auf mikroskopischer Ebene niemals "Stillstand" herrscht?
Es sollte klar sein, dass man einem einzelnen Molekül weder einen Druck noch eine Temperatur zuordnen kann, so dass diese makroskopischen Größen und ihre Eigenschaften nur als kollektive Phänomene zu verstehen sind und daher statistische Methoden einfließen.
Mikrozustände und Makrozustände
Ein zentrales Konzept der statistischen Mechanik ist die Unterscheidung zwischen Mikrozuständen und Makrozuständen.
Dabei steht Mikrozustand für die vollständige Beschreibung des Systems mit den Größen der klassischen Mechanik; im Beispiel aus Abbildung 1 rechts wäre es die Angabe aller Orts- und Geschwindigkeitskoordinaten der Moleküle sowie ihrer Wechselwirkung (untereinander und mit der Umgebung), die hier durch die Summe der auf ein Teilchen wirkenden Kräfte angedeutet wird.
Der Makrozustand dagegen ist die vergröberte Sichtweise auf das System, die der thermodynamischen Beschreibung des Systems nahekommen sollte.
Im Folgenden werden diese Konzepte an einem einfachen Modell erläutert. Es soll ausdrücklich betont werden: das Modell ist so einfach gewählt, dass man noch weit davon entfernt ist, die eigentliche Aufgabe der statistischen Mechanik zu lösen. Es geht vielmehr darum, die Konzepte Mikrozustand und Makrozustand überhaupt einzuführen und ihren Zusammenhang sowie die Rolle der Statistik durchsichtig zu machen. Dies soll nicht durch ein komplexes Modell verschleiert werden.
Daher ist der Gebrauch der Begriffe Mikrozustand und Makrozustand im Folgenden noch weit von ihrer eigentlichen Bedeutung entfernt (so wie es Abbildung 1 suggeriert). Dieses Vorgehen soll den Weg zeigen, wie man ein System (wie in Abbildung 1) mit den "echten" Mikro- und Makrozuständen beschreibt. Insbesondere erlaubt das hier vorgestellte Modell, sämtliche Fragestellungen auf Abzählprobleme zurückzuführen, die entweder exakt gelöst oder leicht numerisch bewältigt werden können, so dass man die Ergebnisse schnell veranschaulichen und diskutieren kann.
Das Modellsystem und die Definition von Mikro- und Makrozuständen
Das Modellsystem: unterscheidbare Teilchen mit äquidistanten Energieniveaus
Für das Modellsystem, an dem im Folgenden die Mikro- und Makrozustände eingeführt und untersucht werden, werden folgende Annahmen gemacht:
- Das System besteht aus N Molekülen, die zwar identisch sind (also etwa ein homogener Stoff), die aber als unterscheidbar angenommen werden; dazu werden sie im Folgenden durchnumeriert von 1 bis N.
- Jedes Molekül kann diskrete, äquidistante Energieniveaus annehmen: 0, E0, 2·E0, 3·E0 ... Diese Energieniveaus werden als Grundzustand, erster angeregter Zustand und so weiter bezeichnet. Die Energie E0 wird kurz als ein Energiequant bezeichnet.
- Für das Gesamtsystem aus N Molekülen stehen insgesamt K Energiequanten zur Verfügung; dabei sind für N und K beliebige Werte erlaubt.
- Untersucht wird vorerst nur die einmalige Verteilung der Energiequanten auf die Moleküle. Eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen, die mit einem Austausch von Energiequanten verbunden wäre, wird vorerst nicht berücksichtigt.
Das Problem, die K Energiequanten auf die N Moleküle zu verteilen, kann man durch das Zufallsexperiment veranschaulichen, das in Abbildung 2 dargestellt ist; dort mit N = 3 und K = 4. Es gibt K Kugeln, die nicht unterscheidbar sind und N Urnen, die numeriert und somit unterscheidbar sind. Die Kugeln entsprechen den Energiequanten, die Urnen den Molekülen.
In Abbildung 2 unten ist eine mögliche Realisierung des Zufallsexperimentes gezeigt: Die Zahlen (0, 3, 1) beschreiben die Anzahlen der Kugeln in den drei Urnen. Allgemein kann man eine Realisierung des Zufallsexperimentes durch eine Zuordnung von der Nummer der Urne zur Anzahl der enthaltenen Kugeln beschreiben:
i → ki, i = 1, ..., N.
Die Definition von Mikro-, Energie- und Makrozuständen
Das Zufallsexperiment aus Abbildung 2 beschreibt exakt die Situation, die durch das Modellsystem vorgegeben ist: K Energiequanten sollen auf N Moleküle verteilt werden, wobei
- nicht jedes Molekül ein Energiequant erhalten muss (es befindet sich dann im Grundzustand),
- jedes Molekül beliebig viele (also bis zu K) Energiequanten erhalten kann und
- die Moleküle noch als unterscheidbar angenommen werden.
Das Ergebnis des Zufallsexperimentes, also die Zuordnung i → ki, i = 1, ..., N, wird dann als ein Mikrozustand des Systems bezeichnet. Der Mikrozustand gibt für jede Urne (beziehungsweise jedes Molekül) an, wie viele Kugeln (beziehungsweise Energiequanten) es besitzt; die Reihenfolge, in der diese Besetzungszahlen angegeben werden, richtet sich nach der Numerierung der Urnen (Moleküle). Somit ist noch die gesamte Information über das Ergebnis des Zufallsexperimentes enthalten (wenn die Kugeln nicht unterscheidbar und die Urnen unterscheidbar sind).
Das Experiment wurde bisher zwar stets als Zufallsexperiment bezeichnet, aber vorerst werden noch keine Wahrscheinlichkeiten für die Ergebnisse eingeführt. (Mit welchen Wahrscheinlichkeiten die Elementarereignisse eintreten, wird später eine heikle Frage der statistischen Mechanik, die jetzt noch nicht behandelt wird.) Im nächsten Abschnitt wird dann abgezählt, wie viele Mikrozustände es zu gegebenen N und K gibt. Zuvor sollen die Begriffe Energie- und Makrozustand eingeführt werden.
Sind die Urnen ebenfalls nicht unterscheidbar, so müssen die Ergebnisse des Zufallsexperimentes anders als die Mikrozustände angegeben werden. Zum Beispiel sind jetzt die Mikrozustände
(0, 3, 1) und (0, 1, 3)
nicht mehr unterscheidbar; sie entstehen lediglich durch Vertauschung der Urnen.
Im Folgenden werden zwei Möglichkeiten vorgestellt, wie man die Ergebnisse des Zufallsexperimentes bei nicht unterscheidbaren Urnen angeben kann; die Ergebnisse werden dann entweder als Energiezustände oder als Makrozustände bezeichnet. Abbildung 3 versucht dies für das Urnen-Experiment darzustellen.
Beim Energiezustand geht man wie beim Mikrozustand von den Urnen aus und stellt eine Zuordnung von der Nummer i der Urne zur Anzahl der enthaltenen Kugeln ki her. Im Unterschied zum Mikrozustand wird diese Folge von Besetzungszahlen absteigend sortiert. (Es ist eine reine Konvention, ob man die absteigende oder aufsteigende Anordnung wählt.)
Somit entsteht eine absteigende Folge von N Zahlen, die jeweils zwischen 0 und K liegen können und sich zu K addieren müssen:
(k1, k2, ..., kN) mit K ≥ k1 ≥ k2 ≥ .. ≥ kN ≥ 0 und k1 + k2 + ... + kN = K.
Damit es sich tatsächlich um einen Energie-zustand handelt, sollte man besser
(E1, E2, ..., EN) = (k1, k2, ..., kN)·E0 mit E1 + E2 + ... + EN = K·E0
schreiben. Da in den folgenden Untersuchungen weniger der physikalische Gehalt, sondern die zugrunde liegenden Abzählprobleme diskutiert werden, wird der Energiezustand mit den ganzen Zahlen (k1, k2, ..., kN) angegeben.
Beim Makrozustand geht man von den Anzahlen von Kugeln aus, also j = 0, 1, ..., K, und stellt eine Zuordnung zu der Anzahl der Urnen her, die j Kugeln enthalten; diese Anzahl an Urnen wird mit nj bezeichnet:
j → nj, j = 0, 1, ..., K.
Eine Sortierung findet hier nicht statt. Es entsteht eine Folge von K + 1 Zahlen, die die Werte 0, 1, ..., N annehmen können und sich zu N addieren. Im thermodynamischen Modell würde man sie als die Besetzungszahlen der Energieniveaus bezeichnen.
(n0, n1, ..., nK) mit 0 ≤ n0, n1, ..., nK ≤ N und n0 + n1 + ... + nK = N.
Man beachte, dass es jetzt auch eine Besetzungszahl n0 gibt; sie steht für die Anzahl der leeren Urnen (beziehungsweise für die Moleküle im Grundzustand).
Beispiel: N = 3 und K = 4.
In Abbildung 1 und 2 wurden spezielle Mikrozustände für den Fall N = 3 und K = 4 gezeigt. Die folgende Abbildung zeigt von links nach rechts:
- alle Mikrozustände in lexikographischer Anordnung,
- alle Mikrozustände derart gruppiert, dass jede Gruppe einen Energie- beziehungsweise Makrozustand erzeugt,
- die zugehörigen Energiezustände und
- die zugehörigen Makrozustände.
An diesem Beispiel soll nochmal erklärt werden, wie die verschiedenen Zustände gebildet werden:
- Die Mikrozustände werden gebildet, indem man alle Summen der Zahl K = 4 der Länge N = 3 bildet (geordnete Partitionen, wobei 0 als Summand zugelassen ist).
- Die Energiezustände bildet man aus den Mikrozuständen, indem man diejenigen Mikrozustände entfernt, die sich nur in der Reihenfolge der Summanden unterscheiden. Im Energiezustand werden dann die Besetzungszahlen der Urnen in absteigender Reihenfolge angegeben.
- Ein Makrozustand entsteht aus einem Energiezustand, indem man zählt wie oft die Zahlen 0, 1, ..., K = 4 im Energiezustand vorkommen. Es entsteht ein Tupel von K + 1 Zahlen (hier 5 Zahlen). Beispiel: Im Energiezustand (4, 0, 0) kommt die 0 zweimal vor, die 1, 2 und 3 kommen nicht vor und die 4 kommt einmal vor; daher ist der zugehörige Energiezustand gleich (2, 0, 0, 0, 1).
Abzählen der Mikro- und Makrozustände
In Abbildung 4 sind einige Eigenschaften der verschiedenen Zustände zu erkennen:
- Die Anzahl der Energie- und Makrozustände stimmt überein.
- Es gibt deutlich weniger Makrozustände als Mikrozustände.
- Die Anzahl der Mikrozustände pro Makrozustände ist nicht für alle Makrozustände identisch.
Mit diesen Beobachtungen drängen sich sofort einige Fragen auf, die zu einem besseren Verständnis des Zusammenhanges zwischen den Mikro- und Makrozuständen führen werden; dabei wird stets N und K als gegeben vorausgesetzt:
- Wie viele Mikrozustände gibt es?
- Wie viele Energie- und Makrozustände gibt es?
- Wie viele Elemente haben die Gruppen von Mikrozuständen, die zu einem Makrozustand gehören?
Und da das Beispiel oben mit N = 3 und K = 4 sehr weit entfernt ist von den Größenordnungen, die man in der statistischen Mechanik untersuchen möchte, wird man versuchen das Verhalten der beschriebenen Anzahlen für große N und K zu beschreiben.
Diese Fragen werden sich leicht beantworten lassen, wenn es gelingt zu formulieren, welche Abzählprobleme sich dahinter verbergen.
Die Anzahl der Mikrozustände
Das Abzählproblem der Verteilung von K nicht unterscheidbaren Kugeln auf N unterscheidbare Urnen wurde ausführlich in Spezielle Abzählprobleme: Kombinationen mit Wiederholungen und die Beweismethode Stars and Bars behandelt: Die Anzahl wurde dort durch die Funktion C(N, K) beschrieben (C soll an configurations erinnern) und sie kann durch den Binomialkoeffizienten "K aus N + K - 1" berechnet werden, siehe Abbildung 5.
Da man in der statistischen Mechanik an Teilchenzahlen N in der Größenordnung 1025 interessiert ist, soll kurz das Verhalten von C(N, K) für große N untersucht werden. Die exakte Berechnung der Binomialkoeffizienten ist nur für kleine N und K möglich; man kann aber sofort eine wichtige Eigenschaft feststellen: Steht nur wenig Energie zur Verfügung, gibt es auch nur wenige Möglichkeiten, wie die Energiequanten auf die Teilchen verteilt werden. Bei festem N erwartet man also, dass C(N, K) mit K anwächst.
Abbildung 6 soll einen Eindruck vermitteln, wie C(N, K) von N und K abhängt. Dabei variiert N von 1 bis 200 und K wird entweder gleich N (rote Punkte) oder gleich 2·N (blaues Histogramm) gewählt. Da die y-Achse logarithmisch dargestellt ist, erkennt den exponentiellen Anstieg von C(N, K); und die exponentielle Rate ist größer, wenn K vergrößert wird. (Die Binomialkoeffizienten wurden mit Hilfe der R-Funktion choose(n, k)
berechnet.)
Aufgabe:
Zeigen Sie mit Hilfe der vereinfachten Stirling-Approximation
ln (N!) = N ln N - N
dass die Funktionen C(N, K = N) und C(N, K = 2·N) für große N exponentiell gegen unendlich gehen und bestimmten Sie exponentielle Rate. (In der Stirling-Approximation steht ln für den natürlichen Logarithmus.)
Die Anzahl der Makrozustände
Da man zu jedem Energiezustand eindeutig einen Makrozustand finden kann und umgekehrt, ist es unerheblich, welche Zustände abgezählt werden.
Das Abzählen der Energiezustände zu N und K stimmt mit dem Problem überein, die ungeordneten Partitionen der Zahl K der Länge N abzuzählen, wobei 0 als Summand zugelassen ist. Mit ungeordnet ist gemeint, dass Partitionen, die nur durch eine Vertauschung der Reihenfolge der Summanden entstehen, nicht als neue Partition zählen – also die Forderung, die an die Energiezustände gestellt wird und die aus der Ununterscheidbarkeit der Teilchen folgt. Dieses Abzählproblem wurde ausführlich in Spezielle Abzählprobleme: Partitionen behandelt. Die Ergebnisse werden hier nur wiedergegeben, nicht hergeleitet.
Zuvor soll das Abzählen der Makrozustände kurz beleuchtet werden: Betrachtet man Abbildung 3, so könnte man vermuten, dass hier alle Partitionen von N der Länge K + 1 abgezählt werden. Dies ist nicht richtig, da nicht alle diese Partitionen einen Makrozustand zu N und K liefern. Dazu muss man nur in Abbildung 4 die rechte Spalte betrachten: man kann durch Vertauschung der Zahlen weitere Partitionen von 3 der Länge 5 bilden, zum Beispiel (1, 0, 0, 0, 2). Dies ist aber kein Makrozustand zu N = 3 und K = 4, denn er beschreibt einen Mikrozustand, in dem das Energieniveau 4 zweimal besetzt ist (und der Grundzustand einmal), gehört also zu K = 8.
Man kann dieses Beispiel verallgemeinern und feststellen, dass eine Partition von 3 der Länge 5 nur dann ein Makrozustand zu N = 3 und K = 4 ist, wenn gilt:
0·n0 + 1·n1 + 2·n2 + 3·n3 + 4·n4 = 4.
Oder noch allgemeiner:
0·n0 + 1·n1 + ... + K·nK = K.
♦ ♦ ♦
In Spezielle Abzählprobleme: Partitionen wurde gezeigt, dass man ungeordnete Partitionen von K der Länge N leichter abzählen kann, wenn die 0 nicht als Summand erlaubt ist. Ihre Anzahl wird dann durch eine Funktion p(K, N) beschrieben, für die man eine Rekursionsformel angeben kann:
p(K, N) = p(K - 1, N - 1) + p(K - N, N).
Die Funktion p(K, N) ist gleich null, wenn ein Argument kleiner oder gleich null ist.
Sucht man jetzt alle ungeordneten Partitionen von K der Länge N, also auch solche, bei denen 0 als Summand zugelassen ist, so muss man nur über die verschiedenen Längen aufsummieren:
p0(K, N) = p(K, 1) + p(K, 2) + ... + p(K, N).
Man kann weder für p(K, N) noch für p0(K, N) einen einfachen Term angeben (vergleichbar dem Binomialkoeffizienten für C(N, K)), aber im Kapitel Spezielle Abzählprobleme: Partitionen wurde eine Implementierung gezeigt, mit denen man die Rekursionsformel und die Summe numerisch berechnen kann (Zahlen für K und N kleiner gleich 20 sind dort in Abbildung 8 zu sehen).
Um die Zahl der Makrozustände mit der Zahl der Mikrozustände vergleichen zu können, ist in Abbildung 7 die zu Abbildung 6 analoge Darstellung für p0(K, N) zu sehen; man erkennt, dass die Anzahl der Makrozustände um Größenordnungen kleiner ist als die Anzahl der Mikrozustände.
Um die Anzahl der Mikro- und Makrozustände besser vergleichen zu können, werden C(N, K) und p0(K, N) in Abbildung 8 gemeinsam dargestellt (wieder mit K = N und K = 2·N)
Über das asymptotische Verhalten von p0(K, N) für große N kann mit den hier zur Verfügung stehenden Mitteln keine Aussage gemacht werden; die Abbildungen lassen vermuten, dass p0(K, N) exponentiell oder etwas langsamer als exponentiell mit N anwächst.
Die Anzahl der Mikrozustände pro Makrozustand
Um die Anzahl der Mikrozustände pro Makrozustände abzuzählen, muss man sich nur vergegenwärtigen, dass die Makrozustände gebildet wurden, indem man die Unterscheidbarkeit der Urnen aufgehoben hat. In einem Makrozustand (n0, n1, ..., nK), mit n0 + n1 + ... + nK = N, zu gegebenem K und N geben die Besetzungszahlen ni die Anzahl der Urnen an, in denen sich i Kugeln befinden (oder wie viele Teilchen das i-te Energieniveau einnehmen). Zählt man, auf wie viele Arten ein Makrozustand durch unterscheidbare Urnen (oder Teilchen) realisiert werden kann, erhält man die Permutationen mit Wiederholungen, also den Multinomialkoeffizient "n0, n1, ..., nK aus N", siehe Abbildung 5 ganz unten.
Beispiele
Bisher wurde lediglich das Beispiel in Abbildung 4 gezeigt, das aber noch keinen Eindruck vermitteln kann, welche typischen Größenverhältnisse zwischen den unterschiedlichen Klassen von Mikrozuständen bestehen, die von den Makrozuständen erzeugt werden. Die folgenden Beispiele sollen dies demonstrieren.
1. Beispiel: N = 4, K = 8
Im Durchschnitt befindet sich jedes Teilchen im zweiten angeregten Zustand. Es gibt C(N = 4, K = 8) = 165 Mikrozustände (die natürlich nicht gezeigt werden) und 15 Energie- beziehungsweise Makrozustände. In der folgenden Abbildung 9 werden sie spaltenweise gezeigt; die erste Zeile numeriert jeweils die Zustände, die letzte Zeile gibt an, wie viele zugehörige Mikrozustände es gibt.
Aussagekräftiger als die Tabellen ist das Diagramm, in dem die Anzahl der Mikrozustände aufgetragen wird; der Makrozustand kann durch seine Nummer identifiziert werden. Man erkennt deutlich, dass selbst bei dieser kleinen Teilchenzahl große Unterschiede in den Anzahlen der Mikrozustände pro Makrozustand bestehen.
2. Beispiel: N = 4, K = 16
Im Vergleich zum ersten Beispiel ist die Anzahl der Energiequanten K verdoppelt, so dass sich jedes Teilchen im Durchschnitt im vierten angeregten Zustand befindet. Jetzt gibt es 969 Mikrozustände und 64 Makrozustände. Abbildung 11 zeigt die analoge Darstellung zu Abbildung 10. Da bei der Berechnung der Anzahl der Mikrozustände pro Makrozustand im Multinomialkoeffizienten oben wieder N = 4 steht, nehmen die Multinomialkoeffizienten keine anderen Werte an als im ersten Beispiel (24, 12, 6, 4 und 1). Die Unterschiede zwischen den Anzahlen der Mikrozustände pro Makrozustand sind nicht ausgeprägter.
3. Beispiel: N = 8, K = 16
Im Vergleich zum ersten Beispiel sind jetzt sowohl Teilchenzahl als auch die Anzahl der Energiequanten verdoppelt; die durchschnittliche Energie pro Teilchen damit unverändert. Die Anzahl der Mikrozustände beträgt jetzt schon 245157 (exponentieller Anstieg) und die Anzahl der Makrozustände 186. Abbildung 12 zeigt wieder die Anzahl der Mikrozustände pro Makrozustand für die verschiedenen Makrozustände. Jetzt ist deutlich zu erkennen, dass wenige Makrozustände von nahezu sämtlichen Mikrozustände realisiert werden. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Effekt bei größeren Teilchenzahlen verstärkt.
Die beiden Energiezustände mit den größten Häufigkeiten lauten:
5 4 3 2 1 1 0 0 und 6 4 3 2 1 0 0 0.
Die entsprechenden Makrozustände lauten:
2 2 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 und 3 1 1 1 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.
Diskussion und weitere Fragestellungen
Man kann natürlich zahlreiche Einwände gegen das diskutierte Modellsystem einbringen, etwa:
- Die Zustände, die hier als Mikro- beziehungsweise Makrozustände bezeichnet wurden, sind weit von den entsprechenden Zuständen eines "realistischen" Systems entfernt.
- Äquidistante Energieniveaus sind eine Besonderheit und es wurde nicht diskutiert, welche Konsequenzen sich allein aus dieser Besonderheit ergeben.
- Das einzige Merkmal, das zwischen Mikro- und Makrozustand voneinander trennt, ist die Ununterscheidbarkeit der Teilchen. Eine echte makroskopische Beschreibung muss weitere Vergröberungen enthalten.
Diese Einwände sind berechtigt, aber man sollte bedenken, dass ein komplexeres Modell zu deutlich schwierigeren Abzählproblemen führt. Es war hier das Ziel,
- sowohl die prinzipielle Vorgehensweise aufzuzeigen, wie Mikro- und Makrozustände definiert werden und wie die Makrozustände Äquivalenzklassen in der Menge der Mikrozustände induzieren,
- als auch ein Modellsystem anzubieten, in dem alle relevanten Größen explizit berechnet werden können.
Und wie die drei Beispiele aus dem letzten Abschnitt zeigen, ist das Modell komplex genug, um weitere Konzepte der statistischen Mechanik zu diskutieren; denn mit einem Blick auf die Abbildungen 5, 10, 11 und 12 drängen sich weitere Fragen auf:
- Definiert man auf der Menge der Mikrozustände ein Wahrscheinlichkeitsmaß, so wird auch auf den Makrozuständen ein Wahrscheinlichkeitsmaß induziert (es herrscht dieselbe Situation wie bei einer Zufallsvariable). Wie lassen sich die Makrozustände charakterisieren, die eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit besitzen?
- Setzt sich die Tendenz, die beim Vergleich von Abbildung 10 mit 12 erkennbar ist, für größere Teilchenzahlen fort: Werden wenige Makrozustände von nahezu allen Mikrozuständen realisiert? (Dabei wird nahezu alle gemessen in dem Wahrscheinlichkeitsmaß, das auf der Menge der Mikrozustände definiert ist.)
- Kann man in dem Modell eine Größe definieren, die der Temperatur in der phänomenologischen Thermodynamik entspricht? Hat etwa der Übergang zu doppelter Energie (siehe erstes und zweites Beispiel) mit einer Temperaturerhöhung zu tun?
- Kann man in dem Modellsystem eine Größe definieren, die der Entropie entspricht?
- Und kann man die Zunahme der Entropie erklären?
- Letzteres setzt voraus, dass man eine mikroskopische Dynamik einführt, die dann eine Dynamik auf der Ebene der Makrozustände induziert. Ist das Modellsystem komplex genug, um dies zu bewerkstelligen?