Eigenschaften von Zufallsvariablen: Die Varianz und die Standardabweichung

Nach dem Erwartungswert sind die Varianz und die Standardabweichung (als Wurzel der Varianz) die wichtigsten Kennzahlen einer Verteilung. Ist der Erwartungswert ein Maß für die Lage der Verteilung, beschreiben Varianz und Standardabweichung die Streuung der Werte einer Zufallsvariable um den Erwartungswert. Die Definition und Eigenschaften werden besprochen und an zahlreichen Beispielen erläutert.

Inhaltsverzeichnis

Einordnung des Artikels

Kenntnisse der Eigenschaften des Erwartungswertes werden hier vorausgesetzt. Wie im Artikel über den Erwartungswert sind elementare Kenntnisse über unendliche Reihen nötig; für stetige Zufallsvariablen Kenntnisse über die Integration von Exponentialfunktionen und partielle Integration.

Einführung

Um besser zu verstehen, dass zusätzlich zum Erwartungswert weitere Größen eingeführt werden müssen, die eine Zufallsvariable charakterisieren, muss man sich nur vergegenwärtigen, welche Fragen sich ein Glücksspieler stellt:

  1. Welchen Ausgang hat das nächste Spiel?
  2. Sind die Regeln so beschaffen, dass es sich um ein faires Spiel handelt oder wird man im Durchschnitt Geld verlieren oder sogar gewinnen? Die Frage kann auch umgedreht werden: Gibt es zu den Regeln eine Strategie, mit der man (ohne Kenntnis des nächsten Wurfes) im Durchschnitt immer gewinnen kann?
  3. Wie sind die Chancen und das Risiko des Spiels zu beurteilen? Soll heißen: Hat man die Chance auf einen (im Vergleich zum Einsatz) hohen Gewinn oder sind die möglichen Gewinne sehr klein? Und umgekehrt: besteht das Risiko pro Spiel sehr viel zu verlieren oder sind die Verluste begrenzt? In mehr mathematischer Terminologie: Ist es zu erwarten, dass bei zahlreichen Wiederholungen des Glücksspiels die meisten Einzelergebnisse nahe beim Erwartungswert liegen oder ist mit "extremen Ereignissen" zu rechnen? Im ersten Fall wechselt pro Spiel mit hoher Wahrscheinlichkeit nur ein kleiner Geldbetrag den Besitzer, im zweiten Fall haben auch Ereignisse, bei denen viel Geld umgesetzt wird, eine hohe Wahrscheinlichkeit – entsprechend ist der Nervenkitzel großer.

Die erste Frage kann kein Spieler beantworten — das ist die wesentliche Eigenschaft des Zufalls und sie macht gerade den Reiz eines Glücksspiels aus.

Die Antwort auf die zweite Frage kann man am Erwartungswert ablesen — vorausgesetzt man kennt die Wahrscheinlichkeiten der Elementarereignisse. Mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich jede beliebige Strategie untersuchen und deren Erwartungswert berechnen.

Die dritte Frage geht einen Schritt darüber hinaus. Denn am Erwartungswert allein kann man nicht ablesen, welches die typischen Ausgänge eines einzelnen Spiels sind: Bei einem "langweiligen" Spiel liegen die pro Spiel umgesetzten Beträge nahe am Erwartungswert und die Chancen und das Risiko sind daher begrenzt, bei einem "spannenden" Spiel geht der Spieler ein hohes Risiko ein und hat große Chancen auf einen hohen Gewinn, da pro Spiel viel zu gewinnen oder verlieren ist — das Spiel erscheint weniger vorhersehbar.

Es sollte auch klar sein: aus der Kenntnis des Erwartungswertes kann man die Antwort auf die dritte Frage nicht herleiten.

Um die zuletzt beschriebenen Eigenschaften einer Zufallsvariable mathematisch zu beschreiben, muss man eine Größe definieren, die die Abweichungen der Werte der Zufallsvariable vom Erwartungswert berechnet und diese mit den Wahrscheinlichkeiten für ihr Eintreten gewichtet. Man kann zahlreiche Größen angeben, die dies leisten, die für die Praxis wichtigsten Größen sind Varianz und Standardabweichung einer Zufallsvariable.

Zunächst werden sie definiert und ihre wichtigsten Eigenschaften vorgestellt. Anschließend werden sie für ausgewählte Verteilungen berechnet und graphisch dargestellt.

Definition von Varianz und Standardabweichung

Definitionen

In Eigenschaften von Zufallsvariablen: Der Erwartungswert von diskreten und stetigen Zufallsvariablen wurden die Definition des Erwartungswertes zunächst für diskrete Zufallsvariablen ausführlich erläutert und anschließend gezeigt, wie die Definition auf stetige Zufallsvariablen übertragen werden kann. Die Unterschiede werden hier für die Definition von Varianz und Standardabweichung nicht nochmals diskutiert, sondern es werden jeweils beide Definitionen angegeben.

Im Folgenden ist X eine reelle Zufallsvariable. Sie kann entweder diskret sein und besitzt Einzel-Wahrscheinlichkeiten der Form

P(X = xi) = pi.

Oder sie ist stetig und Wahrscheinlichkeiten werden mit Hilfe einer Wahrscheinlichkeitsdichte f(x) berechnet.

Wie in der Einführung beschrieben, müssen Varianz und Standardabweichung die Streuung einer Zufallsvariable X um ihren Erwartungswert beschreiben. Naheliegend wäre es daher über sämtliche Differenzen

Xi - E(X)

zu mitteln. Dies liefert allerdings immer null, da es rechts und links vom Erwartungswert in der Summe identische Abweichungen gibt – man denke an die Interpretation des Erwartungswertes als Schwerpunkt!

Besser ist es dann schon über die Beträge der Differenzen |Xi - E(X)| zu mitteln. Dies hat sich aber nicht durchgesetzt. Stattdessen mittelt die Varianz einer Zufallsvariable X über alle quadrierten Abweichungen der x-Werte vom Erwartungswert. (Insbesondere für die "Methode der kleinsten Quadrate" ist diese Definition hilfreich; mit Beträgen von Differenzen liefert die entsprechende Methode sehr sperrige Ausdrücke.)

In Abbildung 1 sind in Gleichung (1) und (2) die Definitionen der Varianz Var(X) für die diskrete beziehungsweise stetige Zufallsvariable X gezeigt. Die Standardabweichung σ(X) wird in beiden Fällen als die Quadratwurzel der Varianz definiert (siehe Gleichung (3) in Abbildung 1).

In Gleichung (1) wird die Definition der Varianz für eine Zufallsvariable angegeben, die endlich viele Werte annimmt. Falls sie abzählbar viele Werte besitzt, durchläuft der Index i alle natürlichen Zahlen. Jetzt kann aber der Fall eintreten, dass die Summe nicht existiert.

Abbildung 1: Definition der Varianz und der Standardabweichung. Bei der Varianz muss man unterscheiden, ob es sich um eine diskrete oder eine stetige Zufallsvariable handelt. Die Standardabweichung ist immer die Wurzel aus der Varianz.Abbildung 1: Definition der Varianz und der Standardabweichung. Bei der Varianz muss man unterscheiden, ob es sich um eine diskrete oder eine stetige Zufallsvariable handelt. Die Standardabweichung ist immer die Wurzel aus der Varianz.

Denkt man sich die Zufallsvariable als eine Größe, die mit einer Einheit versehen ist (etwa Meter, wenn Längen betrachtet werden), so sieht man, dass die Varianz die quadrierte Einheit der Zufallsvariable besitzt. Möchte man aber die Größe, die die Abweichung einer Zufallsvariable X von ihrem Mittelwert beschreibt, wie eine Messunsicherheit Δ X einsetzen – also mit Aussagen der Art:

"mit großer Wahrscheinlichkeit liegt die Zufallsvariable im Bereich μ ± Δ X",

muss sie dieselbe Einheit haben wie die Zufallsvariable X. Dafür kommt also nur die Standardabweichung σ (X) in Frage, nicht die Varianz.

Beispiel: verschiedene Strategien beim Würfelspiel

In Eigenschaften von Zufallsvariablen: Der Erwartungswert von diskreten und stetigen Zufallsvariablen wurde die Berechnung des Erwartungswertes an verschiedenen Strategien beim Würfelspiel erläutert. Die Strategien werden jetzt um eine – Herr Clever – erweitert; sie lauten:

  1. Herr Forsch: er setzt 1 EUR auf die 6 und erhält im Falle eines Gewinnes 6 EUR ausbezahlt.
  2. Herr Scheu: er setzt 1 EUR auf "gerade Zahl"; ihm werden bei einem Gewinn 2 EUR ausbezahlt.
  3. Herr Clever: er versucht die beiden Strategien geschickt zu kombinieren, indem er je einen EUR auf die 6 und einen EUR auf "ungerade Zahl" setzt.

Die Strategien definieren drei Zufallsvariablen für den Nettogewinn; sie sind in der folgenden Tabelle dargestellt.

ω 1 2 3 4 5 6
F(ω) -1 -1 -1 -1 -1 +5
S(ω) -1 +1 -1 +1 -1 +1
C(ω) 0 -2 0 -2 0 +4

Für einen Laplace-Würfel sind die Erwartungswerte der drei Zufallsvariablen offensichtlich gleich null; die Standardabweichungen sind dagegen schwer abzuschätzen.

Aufgabe: Versuchen Sie ohne Rechnung zu begründen, welche dieser drei Zufallsvariablen die größte und welche die kleinste Standardabweichung besitzt.

Abbildung 2 zeigt die Berechnung der Standardabweichungen für diese drei Zufallsvariablen unter der Voraussetzung, dass mit einem Laplace-Würfel gespielt wird.

Abbildung 2: Die Berechnung der Varianz und der Standardabweichung für die drei Zufallsvariablen F, S und C (siehe Tabelle oben).Abbildung 2: Die Berechnung der Varianz und der Standardabweichung für die drei Zufallsvariablen F, S und C (siehe Tabelle oben).

Dass Var(S) < Var(F) ist sofort verständlich: Beide Spieler gehen das gleiche Risiko ein (identischer Einsatz pro Spiel), aber Herr Forsch hat mit seiner Strategie die Chance auf einen hohen Gewinn.

Warum die Varianz von C (Herr Clever) zwischen den beiden anderen Varianzen liegt, ist jetzt noch schwer zu verstehen – dies wird aber sehr viel durchsichtiger, wenn die Abhängigkeit und Unabhängigkeit von Zufallsvariablen und der Zusammenhang zwischen Varianz und Kovarianz diskutiert wird.

Abbildung 3: Darstellung der drei Zufallsvariablen F, S und C im Stabdiagramm. Links sind nur die Einzel-Wahrscheinlichkeiten der Werte der Zufallsvariablen dargestellt (blau); rechts zusätzlich der Erwartungswert (rot) und die Standardabweichung (grün).Abbildung 3: Darstellung der drei Zufallsvariablen F, S und C im Stabdiagramm. Links sind nur die Einzel-Wahrscheinlichkeiten der Werte der Zufallsvariablen dargestellt (blau); rechts zusätzlich der Erwartungswert (rot) und die Standardabweichung (grün).

Aufgabe:

Es werden zwei Lotterien betrachtet, bei beiden beträgt der Einsatz jeweils 1 EUR:

Lotterie A: Es gibt einen Gewinn von 1 000 000 EUR, den man mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 / 14 000 000 erzielen kann.

Lotterie B: Es gibt wieder einen Gewinn von 1 000 000 EUR, den man mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 / 14 000 000 erzielen kann, aber zusätzlich die Möglichkeit einen Gewinn von 5 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.1 zu erzielen.

Versuchen Sie ohne Rechnung zu begründen, warum die Erwartungswerte für die beiden Lotterien deutlich unterschiedlich sind, aber die Standardabweichungen nahezu identisch sind.

Berechnen Sie für beide Lotterien Erwartungswert und Standardabweichung.

Ergebnisse:

E(A) = -0.93 EUR, σ (A) = 267.262 EUR, E(B) = -0.32 EUR, σ (B) = 267.267 EUR.

Eigenschaften von Varianz und Standardabweichung einer diskreten Zufallsvariable

In den folgenden Unterabschnitten werden Eigenschaften von Varianz und Standardabweichung für diskrete Zufallsvariablen hergeleitet. Die Aussagen gelten entsprechend für stetige Zufallsvariablen. Wie man die Herleitungen übertragen kann, werde dem Leser als Übung überlassen.

Vereinfachte Berechnung der Varianz

Die Varianzen aus den bisherigen Beispielen konnten sehr schnell berechnet, da der Erwartungswert stets gleich null war und daher die quadrierten Differenzen sehr einfach sind. Im Allgemeinen ist aber der Erwartungswert ungleich null und die Berechnung der Varianz kann sehr umfangreich werden, wie das folgende Beispiel zeigt.

Beispiel: Gezinkter Würfel

Die folgende Tabelle zeigt die Wahrscheinlichkeiten der Elementarereignisse eines gezinkten Würfels, der schon in Eigenschaften von Zufallsvariablen: Der Erwartungswert von diskreten und stetigen Zufallsvariablen für mehrere Beispiele eingesetzt wurde.

X 1 2 3 4 5 6
P(X = x) 1/12 1/6 1/6 1/6 1/6 3/12

Der Erwartungswert der Augenzahl beträgt 47/12 und da die Einzel-Wahrscheinlichkeiten nicht symmetrisch um den Erwartungswert liegen, ist die Berechnung der Varianz sehr aufwendig. Sie ist in Gleichung (2) in Abbildung 4 wiedergegeben. Die Standardabweichung kann dann wieder leicht berechnet werden (siehe Gleichung (3) in Abbildung 4).

Abbildung 4: Die Berechnung des Erwartungswertes, der Varianz und der Standardabweichung des gezinkten Würfels.Abbildung 4: Die Berechnung des Erwartungswertes, der Varianz und der Standardabweichung des gezinkten Würfels.

In Abbildung 5 sind die Einzel-Wahrscheinlichkeiten des Laplace-Würfels und des gezinkten Würfels dargestellt; zusätzlich eingetragen sind der Erwartungswert und die Standardabweichung.

Abbildung 5: Stabdiagramm für den Laplace-Würfel und den gezinkten Würfel. Der Erwartungswert μ ist rot eingetragen, μ ± σ grün.Abbildung 5: Stabdiagramm für den Laplace-Würfel und den gezinkten Würfel. Der Erwartungswert μ ist rot eingetragen, μ ± σ grün.

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Man kann eine Formel herleiten, die die Berechnung der Varianz abkürzt. Jetzt müssen nicht mehr die quadrierten Differenzen berechnet werden (wie in Gleichung (2) in Abbildung 4). Stattdessen muss E(X2) berechnet werden, was aber deutlich einfacher ist.

Abbildung 6 zeigt die Formel in Gleichung (1) und ihre Herleitung in Gleichung (2), dabei wird der Erwartungswert von X mit μ abgekürzt. Um zu Gleichung (2) zu gelangen, wird:

Abbildung 6: Die Formel zur vereinfachten Berechnung der Varianz und ihre Herleitung. Berechnung der Varianz für den gezinkten Würfel.Abbildung 6: Die Formel zur vereinfachten Berechnung der Varianz und ihre Herleitung. Berechnung der Varianz für den gezinkten Würfel.

Weiter ist in Abbildung 6 zu sehen, wie die Varianz für den gezinkten Würfel deutlich einfacher berechnet werden kann (Gleichung (3) und (4)). Die Berechnung von E(X2) ist weniger fehleranfällig als die direkte Berechnung der Varianz. Man vergleiche dies mit der Berechnung in Abbildung 4.

Aufgabe:

Berechnen Sie die Varianz und die Standardabweichung für den Laplace-Würfel.

Verschiebung einer Zufallsvariable

Geht man von der Zufallsvariable X zu X + b über, so verschieben sich alle Werte der Zufallsvariable und zugleich der Erwartungswert, da

E(X+b) = E(X) + b,

für jede reelle Zahl b. Dann sind aber die Differenzen xi - μ unverändert und es gilt:

Var(X + b) = Var(X) und σ (X + b) = σ (X).

Diese Gleichung bestätigt, dass Varianz und Standardabweichung Streuungsmaße sind, also eine Kennzahl dafür sind, wie weit die Werte der Zufallsvariable streuen – werden alle Werte gleichermaßen verschoben, bleiben Varianz und Standardabweichung unverändert.

Abbildung 7: Eigenschaften der Varianz: Verschiebung der Zufallsvariable X um b, Multiplikation der Zufallsvariable X mit einem Faktor a sowie Berechnung von Var(Z) = Var(X + Y).Abbildung 7: Eigenschaften der Varianz: Verschiebung der Zufallsvariable X um b, Multiplikation der Zufallsvariable X mit einem Faktor a sowie Berechnung von Var(Z) = Var(X + Y).

Multiplikation einer Zufallsvariable mit einem Faktor

Geht man von der Zufallsvariable X zu a · X über, so wird der Erwartungswert mit a multipliziert und man sieht mit der Formel zur vereinfachten Berechnung der Varianz, dass

Var(a · X) = E(a2 · X2) - (a · μ)2 =

a2 · E(X2) - a2 · μ2 = a2 · Var(X).

Also gilt (siehe Gleichung (2) in Abbildung 7):

Var(a · X) = a2 · Var(X) und

σ(a · X) = a · σ(X).

Diese Gleichungen gelten wiederum für jede reelle Zahl a.

Fasst man die beiden letzten Ergebnisse zusammen, erhält man:

Var(a · X + b) = a2 · Var(X) und

σ(a · X + b) = a · σ(X).

Man beachte, dass Varianz und Standardabweichung nicht linear von der Zufallsvariable abhängen.

Summe zweier Zufallsvariablen

Wie berechnet sich die Varianz der Summe zweier Zufallsvariable X und Y, also Z = X + Y, aus den Varianzen von X und Y? Der Erwartungswert von X werde mit μX, der Erwartungswert von Y mit μY bezeichnet und es ist

E(Z) = μX + μY.

Da schon bei Multiplikation und Verschiebung für die Varianz keine Linearität gilt, sollte man sie auch nicht für die Summe von Zufallsvariablen erwarten. Die Berechnung der Varianz von Z wird in Abbildung 7 durchgeführt. Dazu wird die quadrierte Differenz in drei Teile zerlegt, zwei davon liefern die Varianz von X beziehungsweise Y. Der dritte Term hängt sowohl von X als auch von Y ab und es ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, welche Bedeutung er hat.

Die Varianz der Summe zweier Zufallsvariable ist die Summe der Varianzen der einzelnen Zufallsvariablen plus ein Korrekturterm, der die Abhängigkeit der beiden Zufallsvariablen beschreibt und der später (im Zusammenhang mit der "Unabhängigkeit von Zufallsvariablen") noch genauer untersucht wird. Dabei wird sich herausstellen, dass dieser Korrekturterm ein Schlüssel zum Verständnis der Abhängigkeit beziehungsweise Unabhängigkeit von Zufallsvariablen ist.

Aufgabe

Oben wurde die Zufallsvariable C eingeführt, die die Strategie von Herrn Clever beschreibt. Zeigen Sie, dass sich C durch die Zufallsvariablen F und S ausdrücken lässt:

C = F - S.

Berechnen Sie Var(C) mit den jetzt besprochenen Formeln und vergleichen Sie das Ergebnis mit der direkten Berechnung.

Kann man aus der Definition von C als C = F - S verstehen, warum

Var(C) < Var(F) + Var(S)?

Vergleichen Sie dies mit der Zufallsvariable G = F + S.

Wie groß ist Var(G)? Vergleichen Sie wieder mit Var(F) + Var(S).

Beispiele zur Berechnung der Varianz und der Standardabweichung

In Eigenschaften von Zufallsvariablen: Der Erwartungswert von diskreten und stetigen Zufallsvariablen wurden für folgende Verteilungen die Erwartungswerte berechnet:

Diese Beispiele werden hier fortgeführt und jeweils Varianz und Standardabweichung berechnet. Die Ergebnisse aus Eigenschaften von Zufallsvariablen: Der Erwartungswert von diskreten und stetigen Zufallsvariablen werden dabei verwendet und nicht nochmal hergeleitet.

Die geometrische Verteilung

In Eigenschaften von Zufallsvariablen: Der Erwartungswert von diskreten und stetigen Zufallsvariablen wurde die geometrische Verteilung vorgestellt und ihr Erwartungswert berechnet (siehe Gleichung (2) in Abbildung 8). Zur Herleitung des Erwartungswertes mussten Eigenschaften der geometrischen Reihe und die Vertauschung von Differentiation und Summation verwendet werden. Die Herleitung der Varianz verwendet wiederum diese Hilfsmittel; sie ist in Abbildung 8 ausführlich gezeigt.

Abbildung 8: Herleitung der Varianz und der Standardabweichung der geometrischen Verteilung.Abbildung 8: Herleitung der Varianz und der Standardabweichung der geometrischen Verteilung.

In Abbildung 9 wird zweimal eine geometrische Verteilung dargestellt, einmal mit p = 1/6 und einmal mit p = 0.5. Im zweiten Fall erscheint die Verteilung deutlich zusammengestaucht, der Erwartungswert und die Standardabweichung sind kleiner. Um zu erkennen, dass die Wahrscheinlichkeit für P(X = 1) im ersten Fall sehr viel kleiner ist, muss man auf die Skalierung der y-Achse achten.

Abbildung 9: Zwei Stabdiagramme für die geometrische Verteilung; links mit p = 1/6, rechts mit p = 0.5. Man beachte, dass die y-Achsen unterschiedlich skaliert sind. Rot ist jeweils der Erwartungswert eingezeichnet, grün die Standardabweichung.Abbildung 9: Zwei Stabdiagramme für die geometrische Verteilung; links mit p = 1/6, rechts mit p = 0.5. Man beachte, dass die y-Achsen unterschiedlich skaliert sind. Rot ist jeweils der Erwartungswert eingezeichnet, grün die Standardabweichung.

Aufgabe:

Skizzieren Sie die Varianz der geometrischen Verteilung als Funktion von p für 0 < p < 1.

Diskutieren Sie die Grenzwerte der Varianz für p → 0 und p → 1 (siehe Abbildung 8)

Die Poisson-Verteilung

Die Berechnung der Varianz ist in Abbildung 10 ausgeführt; wie bei der geometrischen Verteilung werden wieder die Methoden eingesetzt, die auch zur Berechnung des Erwartungswertes verwendet wurden.

Abbildung 10: Berechnung des Erwartungswertes und der Varianz der Poisson-Verteilung.Abbildung 10: Berechnung des Erwartungswertes und der Varianz der Poisson-Verteilung.

In der folgenden Abbildung wird die Poisson-Verteilung für die Parameter λ = 1, 2, 3, 4 dargestellt. Jeweils links sind nur die Einzel-Wahrscheinlichkeiten zu sehen, jeweils rechts ist zusätzlich der Erwartungswert (rot) und die Standardabweichung (schwarz) eingetragen – genauer: μ ± σ.

Abbildung 11: Poisson-Verteilung. Links jeweils nur die Einzel-Wahrscheinlichkeiten für k = 0, 1, ..., 12, rechts zusätzlich der Erwartungswert (rot) und die Standardabweichung (schwarz).Abbildung 11: Poisson-Verteilung. Links jeweils nur die Einzel-Wahrscheinlichkeiten für k = 0, 1, ..., 12, rechts zusätzlich der Erwartungswert (rot) und die Standardabweichung (schwarz).

Die Normalverteilung

Berechnung von Gauß-Integralen

Um nachzuweisen, dass eine Normalverteilung (siehe Gleichung (1) in Abbildung 12 für die Wahrscheinlichkeitsdichte f(x)) normiert ist sowie zur Berechnung von Erwartungswert und Varianz benötigt man sogenannte Gauß-Integrale, also unbestimmte Integrale wie in Gleichung (2). Die Ergebnisse sind in Gleichung (3) wiedergegeben.

Abbildung 12: Die Wahrscheinlichkeitsdichte der Normalverteilung mit den Parametern μ und σ (1). Die Gauß-Integrale, die man für die Normierung, den Erwartungswert und die Varianz der Normalverteilung benötigt (2) und (3); ihre Berechnung erfolgt in Abbildung 13.Abbildung 12: Die Wahrscheinlichkeitsdichte der Normalverteilung mit den Parametern μ und σ (1). Die Gauß-Integrale, die man für die Normierung, den Erwartungswert und die Varianz der Normalverteilung benötigt (2) und (3); ihre Berechnung erfolgt in Abbildung 13.

Für n = 1 kann das Integral direkt berechnet werden, siehe (1) in Abbildung 13.

Dagegen ist die Berechnung für n = 0 trickreich und wirkt auf den ersten Blick als würde man nur im Kreis rechnen. Der Trick besteht darin, dass man das gesuchte Integral quadriert, in Polarkoordinaten umrechnet und erst dann die Integration ausführt. So kann es wieder auf das Gauß-Integral mit n = 1 zurückgeführt werden (siehe Gleichung (2) bis (3) in Abbildung 13.

Für n = 2 ist die Berechnung wieder einfach, wenn man die richtige Aufteilung des Integranden für eine partielle Integration findet (siehe Gleichung (4) bis (5) in Abbildung 13).

Abbildung 13: Berechnung der Gauß-Integrale aus Abbildung 12.Abbildung 13: Berechnung der Gauß-Integrale aus Abbildung 12.

Normierung, Erwartungswert, Varianz und Standardabweichung der Normalverteilung

Nach diesen Vorbereitungen ist es nicht mehr schwer die relevanten Integrale für die Normalverteilung zu berechnen.

1. Normierung:

Mit der Substitution (1) aus Abbildung 14 kann man leicht die Normierung der Wahrscheinlichkeitsdichte der Normalverteilung nachrechnen (siehe Gleichung (2) in Abbildung 14).

Abbildung 14: Berechnung der Normierung, des Erwartungswertes, der Varianz und der Standardabweichung mit Hilfe der Gauß-Integrale aus Abbildung 13.Abbildung 14: Berechnung der Normierung, des Erwartungswertes, der Varianz und der Standardabweichung mit Hilfe der Gauß-Integrale aus Abbildung 13.

2. Erwartungswert der Normalverteilung:

Die Substitution (1) aus Abbildung 14 wird nach x aufgelöst und in den Ansatz für den Erwartungswert eingesetzt. Es entstehen zwei Integrale; das erste Integral stimmt bis auf den Faktor μ mit der Normierungsbedingung überein, das zweite Integral ist aus Symmetriegründen gleich null (siehe Gleichung (4) in Abbildung 14). Man erhält für eine normalverteilte Zufallsvariable X:

E(X) = μ

3. Varianz und Standardabweichung:

Die Berechnung der Varianz ist sogar einfacher, wenn man die ursprüngliche Definition der Varianz ansetzt. Die Substitution (1) liefert wieder ein Integral, das bis auf einen Faktor mit dem Integral I2) aus Abbildung 13 übereinstimmt und man erhält für eine normalverteilte Zufallsvariable X (Gleichung (5)):

Var (X) = σ2 und σ (X) = σ.

Damit wurde nachgewiesen, dass die Parameter μ und σ in der Wahrscheinlichkeitsdichte der Normalverteilung tatsächlich Erwartungswert und Standardabweichung sind.

Die folgende Abbildung zeigt 4 Normalverteilungen, wobei jeweils Erwartungswert (orange) und Standardabweichung (schwarz) in das Diagramm eingetragen sind.

Abbildung 15: Vier Beispiele für Normalverteilungen mit unterschiedlichen Parametern μ und σ.Abbildung 15: Vier Beispiele für Normalverteilungen mit unterschiedlichen Parametern μ und σ.

Die Exponentialverteilung

Die Varianz für eine geometrisch oder Poisson-verteilte Zufallsvariable wurde über den Erwartungswert E(X2) berechnet. Dabei hat sich gezeigt, dass die selben Techniken eingesetzt werden wie bei der Berechnung des Erwartungswertes E(X). Es ist daher zu vermuten, dass sich Erwartungswerte der Art E(Xn) ebenso berechnen lassen. Derartige Erwartungswerte werden Momente der Zufallsvariable X bezeichnet; oder speziell E(Xn) als das n-te Moment der Zufallsvariable X.

Am Beispiel der Exponentialverteilung kann diese Systematik besonders leicht gezeigt werden: Die Berechnung des (n + 1)-ten Momentes kann mit Hilfe partieller Integration auf das n-te Moment zurückgeführt werden, woraus man leicht eine allgemeine Formel für das n-te Moment ablesen kann.

In Abbildung 16 ist gezeigt:

  1. Die Wahrscheinlichkeitsdichte einer Exponentialverteilung mit Parameter λ in Gleichung (1).
  2. Die Formel für das n-te Moment der Exponentialverteilung in Gleichung (2).
  3. Der Beweis der Formel mit vollständiger Induktion, wobei die partielle Integration ausgeführt wird.
  4. Die Berechnung der Varianz der Exponentialverteilung in Gleichung (3).

Abbildung 16: Die Berechnung der Momente der Exponentialverteilung mit Parameter λ. Daraus kann die Varianz hergeleitet werden.Abbildung 16: Die Berechnung der Momente der Exponentialverteilung mit Parameter λ. Daraus kann die Varianz hergeleitet werden.

Die folgende Abbildung zeigt die Exponentialverteilung für die Parameter λ = 1, 2, 3, 4. Eingetragen sind der Erwartungswert μ (orange) und die Werte μ ± σ (schwarz).

Abbildung 17: Vier Vertreter der Exponentialverteilung mit Parameter λ = 1, 2, 3, 4. Zusätzlich eingetragen sind der Erwartungswert (orange) und die Standardabweichung (schwarz).Abbildung 17: Vier Vertreter der Exponentialverteilung mit Parameter λ = 1, 2, 3, 4. Zusätzlich eingetragen sind der Erwartungswert (orange) und die Standardabweichung (schwarz).

Aufgabe:

Falls Ihnen der Induktionsanfang bei n = 0 in Abbildung 16 verdächtig vorkommt: Überprüfen Sie, ob Gleichung (2) für n = 1 erfüllt ist.