Die eindimensionale Legendre-Transformation: Motivation, Definition und einfache Beispiele
Die Legendre-Transformation wird geometrisch motiviert, indem die Menge der Tangenten an den Graphen einer Funktion betrachtet wird. Die formale Definition wird von der Verallgemeinerung, der Legendre-Fenchel-Transformation, abgegrenzt und es wird gezeigt, dass für differenzierbare und konvexe Funktionen beide Transformationen identisch sind. Für einfache Funktionen wird die Legendre-Transformation berechnet und veranschaulicht.
- Einordnung des Artikels
- Einführung
- Überblick
- Transformation einer Funktion
- Geometrisches Beispiel zur Motivation der Legendre-Transformation
- Die Menge der Tangenten an eine Kurve
- Die Zuordnungsvorschrift der Legendre-Transformation
- Die Definition der Legendre-Transformation
- Zusammenfassung der bisherigen Überlegungen
- Die Voraussetzungen und die Definition der Legendre-Transformation
- Die Legendre-Fenchel-Transformation
- Beispiele zur Berechnung der Legendre-Transformation
- Aufgaben
- Das Beispiel der Exponentialfunktion aus der Einführung
- Legendre-Transformation einer quadratischen Funktion
- Die Legendre-Transformation der Funktion x → 1/x
- Die Legendre-Transformation der Funktion x → -x ln x
- Weitere Fragestellungen
Einordnung des Artikels
- Ausgewählte Kapitel der Mathematik (für Programmierer, Informatiker, Ingenieure und Naturwissenschaftler)
- Spezielle Kapitel der Analysis
- Eigenschaften von konvexen Funktionen und die Jensensche Ungleichung
- Die eindimensionale Legendre-Transformation: Motivation, Definition und einfache Beispiele
- Spezielle Kapitel der Analysis
Der Artikel setzt elementare Kenntnisse der Differentialrechnung voraus. Weiter werden Eigenschaften von konvexen Funktionen benötigt, die in Eigenschaften von konvexen Funktionen und die Jensensche Ungleichung besprochen werden.
Einführung
Überblick
Die folgenden Punkte geben einen kurzen Überblick über den Artikel:
- Es ist sehr schwer an der rein formalen Definition zu erkennen, welche Abbildung bei der Legendre-Transformation vorgenommen wird und welche Eigenschaften sie hat. Daher wird versucht, eine geometrische Veranschaulichung zu entwickeln, so dass man den Graphen der Legendre-Transformation auch qualitativ und vollständig ohne Rechnungen aus dem Graphen einer gegebenen Funktion erzeugen kann.
- Die formale Definition der Legendre-Transformation wird von ihrer Verallgemeinerung, der Legendre-Fenchel-Transformation unterschieden. Auf Letztere wird nicht ausführlich eingegangen, sondern es wird nur gezeigt, welche Voraussetzungen eine Funktion erfüllen muss, damit beide Transformationen übereinstimmen.
- Es werden zahlreiche Beispiele für die Berechnung der Legendre-Transformation und ihre Veranschaulichung gezeigt.
Transformation einer Funktion
Bevor speziell die Legendre-Transformation untersucht werden soll, muss man klären, was eigentlich mit "Transformation einer Funktion" gemeint ist. Salopp gesagt wird eine Funktion auf eine andere Funktion abgebildet:
f(x) → g(z).
Als einfache Beispiele sollen die Substitution, die Differentiation, die Bildung der Umkehrfunktion und die Integraltransformation kurz diskutiert werden.
1. Die Substitution
Ist etwa die Funktion
f(x) = x4 - 2x2
gegeben, so entsteht durch die Substitution z = x2 eine neue Funktion
g(z) = z2 - 2z.
Und man kann zahlreiche Eigenschaften der Funktion f(x) aus den Eigenschaften der Funktion g(z) ablesen.
In der Integralrechnung ist die Substitution ein wichtiges Hilfsmittel, das die Suche nach Stammfunktionen erleichtern kann. Das bedeutet aber nicht, dass jede Substitution eine Funktion auf eine einfachere Funktion abbildet. Man kann sich durch ungeschickte Substitutionen die Arbeit auch unnötig schwer machen.
2. Die Ableitung
Man kann die Berechnung der Ableitung auch als eine Transformation auffassen, die einer gegebenen Funktion eine andere Funktion zuordnet:
f(x) → f'(x).
Bei diesem Beispiel ist sofort klar, dass man aus der Ableitung f'(x) die Funktion f(x) nicht eindeutig rekonstruieren kann. Bei der Substitution kann man diese Frage nicht generell beantworten und muss jede Substitution getrennt untersuchten.
3. Die Bildung der Umkehrfunktion
Ist eine Funktion f(x) streng monoton zunehmend oder streng monoton abnehmend, so kann man ihre Umkehrfunktion f-1(x) bilden. Auch hier wird also einer Funktion eine andere Funktion zugeordnet. Bildet man von f-1(x) nochmals die Umkehrfunktion, gelangt man wieder zu f(x) zurück.
4. Die Integraltransformation
Es gibt zahlreiche Transformationen, die in praktischen Anwendungen relevant sind, die sich durch ein Integral mit Hilfe eines Integralkerns darstellen lassen. Damit ist gemeint, dass es eine Funktion K(x, y) gibt, die eine Funktion f(x) auf eine neue Funktion g(y) abbildet, indem das Integral ausgewertet wird:
g(y) = ∫ f(x) K(x, y) dx,
wobei man noch die Integrationsgrenzen festlegen müsste. Bekannteste Beispiele sind die Fourier- und Laplace-Transformation.
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Wichtige Fragen, die sich bei allen derartigen Transformationen stellen, sind:
- Kann man aus der transformierten Funktion die ursprüngliche Funktion wieder eindeutig zurückgewinnen?
- Wie lautet die Rücktransformation?
Es wird sich herausstellen, dass die Legendre-Transformation eine geschickte Kombination von Ableitung, Umkehrfunktion und Substitution ist. Die Frage nach ihrer Umkehrung wird hier noch nicht gestellt.
Geometrisches Beispiel zur Motivation der Legendre-Transformation
Die Menge der Tangenten an eine Kurve
Im folgenden Beispiel wird die "Berechnung" einer Legendre-Transformation lediglich an Graphiken erklärt, die zugehörigen Rechnungen werden später nachgeliefert. Das Beispiel soll zeigen:
- Durch welche Fragestellungen gelangt man zur Legendre-Transformation?
- Wie kann die Legendre-Transformation inhaltlich interpretiert werden?
Eine formale Einführung ist leichter mathematisch korrekt durchzuführen, im Formalismus wird aber meist verschleiert, welche Bedeutung die Legendre-Transformation hat.
Betrachtet wird die Funktion
f(x) = exp(2x/3),
die in Abbildung 1 dargestellt ist (rot). Zusätzlich ist für einen speziellen Wert x0 die Tangente eingetragen (blau, hier für x0 = 3).
Weiter erkennt man in Abbildung 1 zwei grüne Punkte:
- Der Punkt (x0, f(x0), an dem die Tangente den Graphen von f(x) berührt.
- Der Punkt (0, ya), an dem die Tangente die y-Achse schneidet (ya ist somit der y-Abschnitt der Tangente mit der Geradengleichung y = ax + ya mit a = f'(x0). Für das gewählte x0 ist ya negativ.
Das Steigungsdreieck, das in Abbildung 1 eingetragen ist, wird später erklärt, wenn die Definition der Legendre-Transformation diskutiert wird (siehe Erklärungen zu Abbildung 4).
In Abbildung 2 wird nicht nur eine Tangente sondern eine Schar von Tangenten eingetragen. Wieder sind die Berührpunkte und die y-Abschnitte der Tangenten gekennzeichnet. Dort wo die Funktion f(x) in guter Näherung mit einer Geraden übereinstimmt, sind die Tangenten und die Punkte (0, ya) nur schwer aufzulösen.
Die Punkte (0, ya) auf der y-Achse könnte man auch als die Startpunkte der Tangenten bezeichnen: Kennt man die Steigung a der Funktion f(x0) an einer gewissen Stelle x0, so muss man von diesem Startpunkt aus eine Gerade mit Steigung a zeichnen, um eine Tangente an den Graphen von f(x) zu erzeugen.
Naheliegend ist es jetzt zu fragen: Wie hängen die Koordinaten der gekennzeichneten Berührpunkte (x0, f(x0)) und die Koordinaten der Startpunkte (0, ya) zusammen? Das soll heißen: Man gibt sich einen x-Wert x0 vor und sucht den y-Abschnitt ya auf der y-Achse; mathematisch ausgedrückt ist dies eine Zuordnung
x0 → ya.
Abbildung 3 zeigt den Graphen dieser Zuordnung. Sie ist leicht nachzuvollziehen, wenn man die farblich gekennzeichneten Punkte mit denen in Abbildung 2 vergleicht. Man beachte, diese Zuordnung ist nicht die Legendre-Transformation, aber man steht jetzt schon kurz vor der eigentlichen Definition.
Die Zuordnungsvorschrift der Legendre-Transformation
Für die folgenden Überlegungen ist zu beachten:
- Die oben eingeführten Bezeichnungen für den speziell betrachteten x-Wert x0 und den "Startpunkt der Tangente" ya bezeichnen Koordinaten und können somit sowohl positive als auch negative Werte annehmen. Sobald sie in Abbildungen dargestellt werden, kann man sie leicht als Längen interpretieren, sie also mit ihrem Betrag verwechseln.
- Ebenso ist die Steigung a eine Größe, die positiv oder negativ sein kann.
- Wird daher ein Steigungsdreieck mit a = Δy / Δx ausgewertet, ist das Vorzeichen aller drei Größen zu beachten.
Die Legendre-Transformation verwendet nicht die Zuordnung
x0 → ya
aus Abbildung 3, sondern entsteht aus einer verwandten Fragestellung, für die man einmal "um die Ecke denken" muss und die insbesondere die Konvexität der Funktion f(x) verwendet.
Wenn f(x) konxex ist, dann ist ihre erste Ableitung f'(x) streng monoton zunehmend und somit nimmt f'(x) jeden Funktionswert nur einmal an. Damit kann man aber eine eindeutige Zuordnung zwischen x0 und f'(x0) herstellen. Mathematisch formuliert: Die Abbildung f' ist umkehrbar und somit kann die Gleichung
a = f'(x0)
eindeutig nach x0 aufgelöst werden, das heißt x0 kann als Funktion von a geschrieben werden:
x0 = x0(a).
(Ob diese Umformung auch praktisch möglich ist, ist wieder eine andere Frage, da es auch Funktionen gibt, deren Umkehrfunktion zwar existiert, die man aber nicht mit den üblichen Funktionen explizit ausdrücken kann.) Und jetzt betrachtet man die Zuordnung:
a → ya.
(Auch diese Zuordnung liefert noch nicht die Legendre-Transformation.) Die Bedeutung dieser Zuordnung sollte auch klar sein: Zu einer gegebenen Steigung a sucht man denjenigen y-Abschnitt ya, so dass die Gerade
y = ax + ya
eine Tangente an die Funktion f(x) ist.
Dazu wurde in Abbildung 1 das Steigungsdreieck zu der gezeichneten Tangente und den beiden grünen Punkten eingetragen:
- Die waagrechte Hypothenuse Δx stimmt mit x0 überein.
- Die lotrechte Hypothenuse Δy setzt sich aus dem Funktionswert f(x0) und dem y-Abschnitt ya zusammen. Da man die Vorzeichen beachten muss (siehe einführende Bemerkung zu diesem Unterabschnitt), gilt: Δy = f(x0) - ya.
Drückt man dagegen die lotrechte Hypothenuse Δy durch die Steigung a und x0 aus, erhält man:
Δy = f'(x0)·x0 = a·x0.
Durch Gleichsetzen ergibt sich:
a·x0 = f(x0) - ya,
was umgeformt wird zu
-ya = a·x0 - f(x0).
Dies ist also gerade derjenige Teil der lotrechten Hypothenuse, die nicht vom Funktionswert f(x0) herrührt (in Abbildung 1 der dunkelrote Teil der lotrechten Hypothenuse, der sich unterhalb der x-Achse befindet). Die rechte Seite a·x0 - f(x0) kann jetzt als Funktion der Steigung a aufgefasst werden, wenn man beachtet, dass x0 eine eindeutige Funktion der Steigung a ist: x0 = x0(a).
Und diese Größe -ya definiert die Legendre-Transformation f*(a):
f*(a) = a·x0(a) - f(x0(a)).
Man beachte bei dieser Definition:
- Die Funktion f* besitzt als Eingabewerte die möglichen Steigungen a der Tangenten an die Funktion f(x) und nicht mehr die möglichen x-Werte, die in f(x) eingesetzt werden.
- Naheliegend wäre es vielleicht gewesen die Zuordnung x0 → ya zur Definition einer neuen Abbildung zu verwenden. Die Legendre-Transformation wird aber durch die Zuordnung a → -ya definiert.
Abbildung 4 zeigt die Legendre-Transformation zu der in den bisherigen Abbildungen verwendeten Funktion.
Abbildung 5 versucht – wieder am Beispiel der Funktion f(x) = exp(2x/3) – darzustellen, was es bedeutet, dass eine Funktion transformiert wird, hier natürlich speziell die Legendre-Transformation von f(x).
Dazu ist links nochmals der Graph der Funktion f(x) gezeigt. In der üblichen Lesart stellt man sich den Graphen als eine Menge von Punkten (x, y) vor, die durch eine Zuordnung
x → y = f(x)
und einer geeigneten Definitionsmenge für die x-Werte hergestellt wird.
Rechts wird anstelle des Graphen eine Menge von Geraden dargestellt, die man leicht als Tangenten an den Graphen von f(x) identifizieren kann. Aber diese Schar von Geraden erlaubt zwei Dinge:
- Die Funktion f(x) kann aus ihnen rekonstruiert werden (ein Beweis dafür steht natürlich aus, die Abbildung suggeriert dies aber).
- Die Schar von Tangenten induziert eine weitere Repräsentation der Funktion, die man von der Zuordnung x → y = f(x) unterscheiden muss.
Der zweite Punkt soll in dieser geometrisch orientierten Einführung in die Legendre-Transformation erläutert werden. Ist anstelle der Funktion f(x) die Menge der Tangenten an die Funktion gegeben, so kann man folgende Zuordnung definieren: Zu einer gegebenen Steigung a bestimmt man den negativen y-Abschnitt -ya der zugehörigen Tangente. Lässt man jetzt a durch alle möglichen Werte der Tangentensteigungen laufen, so entsteht durch die Zuordnung
a → -ya = f*(a)
der Graph aus Abbildung 4. Damit ist es gelungen die Funktion f(x) durch eine andere Zuordnung zu repräsentieren.
Aber damit hat man zugleich eine "Konstruktionsvorschrift" der Legendre-Transformation gefunden, die vermutlich leichter verständlich als die Gleichung f*(a) = a·x0(a) - f(x0(a)): Man zeichnet zum Graphen von f(x) die Menge der Tangenten und bildet wie eben beschrieben aus a → -ya den Graphen der Legendre-Transformation.
Aufgabe:
Man erkennt in Abbildung 4, dass die Legendre-Transformation f*(a) zwischen a = 1 und a = 2 eine Nullstelle besitzt. Beschreiben Sie mit Worten, wie man diese Nullstelle in Abbildung 5 im linken beziehungsweise rechten Diagramm erkennt.
Berechnen Sie die Steigung a, den x-Wert und den Funktionswert f(x) zu dieser Nullstelle von f*(a).
Ergebnisse:
a = 2e/3, x = 3/2, f(x) = e.
Die Definition der Legendre-Transformation
Zusammenfassung der bisherigen Überlegungen
Abbildung 6 versucht die bisherigen Überlegungen in einem Bild darzustellen:
- Links ist der Graph einer Funktion f(x) gezeichnet, wobei an einer beliebig gewählten Stelle x0 die Tangente eingetragen ist.
- Die Tangentengleichung enthält als Parameter die Steigung a (die mit der Ableitung f'(x0) übereinstimmt) und den y-Abschnitt ya.
- In der Mitte wird zur Tangente das Steigungsdreieck eingezeichnet. Dazu wird als waagrechte Hypothenuse x0 gewählt. Die lotrechte Hypothenuse besitzt dann die Länge a·x0, was mit Hilfe des Funktionswertes f(x0) und des y-Abschnittes ausgedrückt wird.
- Die Differenz aus der lotrechten Hypothenuse und dem Funktionswert f(x0), also -ya, definiert die Legendre-Transformation, wenn man noch die Zuordnungsvorschrift geeignet umschreibt.
- Mit "Umschreiben der Zuordnungsvorschrift" ist gemeint, dass -ya als Funktion der Steigung a ausgedrückt wird. Dies geschieht dadurch, dass man die Umkehrfunktion der Ableitung f'(x0) bildet.
- Die entsprechende Rechnung und Definition der Legendre-Transformation ist rechts gezeigt.
Aufgabe: Zeigen Sie, dass der Zusammenhang (für die lotrechte Hypothenuse in Abbildung 6 mitte)
a·x0 = f(x0) - ya
auch dann richtig ist, wenn ya positiv ist.
Die Voraussetzungen und die Definition der Legendre-Transformation
Damit die Legendre-Transformation wie in Abbildung 6 berechnet werden kann, sind folgende Voraussetzungen nötig:
- Die Funktion f(x) muss differenzierbar sein, da man ihre Ableitungsfunktion f'(x) benötigt.
- Die Funktion f(x) muss entweder konvex oder konkav sein, da man die Umkehrfunktion der Ableitung berechnen muss. (Ist f konvex, ist die Ableitung streng monoton zunehmend, ist f konkav, ist die Ableitung streng monoton abnehmend.)
Die Legendre-Fenchel-Transformation
Die Bezeichnungen in der Literatur sind nicht einheitlich; meist wird die soeben definierte Transformation als die Legendre-Transformation bezeichnet, die von der sogenannten Legendre-Fenchel-Transformation zu unterscheiden ist. Manchmal wird auch nicht zwischen beiden unterschieden.
Für die Legendre-Fenchel-Transformation versucht man die Voraussetzungen abzuschwächen, also die Definition für Funktionen f(x) zu erweitern, die nicht differenzierbar oder nicht konvex sind.
Es sollen hier nur zwei Dinge gezeigt werden:
- Wie ist die Legendre-Fenchel-Transformation definiert?
- Warum stimmt sie bei Funktionen, die konvex und differenzierbar sind, mit der Legendre-Transformation überein?
Eine genauere Untersuchung der Legendre-Fenchel-Transformation müsste beinhalten:
- Für welche Funktionen ist sie wohldefiniert?
- Wie charakterisiert man diejenigen Funktionen, für die Legendre- und Legendre-Fenchel-Transformation ein unterschiedliches Ergebnis liefern?
- In welchen Eigenschaften stimmen Legendre- und Legendre-Fenchel-Transformation immer überein?
Diese Fragen führen zu zahlreichen Spitzfindigkeiten, die in dieser Einführung nicht untersucht werden.
Abbildung 8 zeigt die Definition der Legendre-Fenchel-Transformation. Man beachte, dass jetzt keine Differenzierbarkeit von f(x) vorausgesetzt ist und daher die Berechnung ohne die Ableitung auskommen muss.
Dass für differenzierbare und konvexe Funktionen beide Transformationen das identische Ergebnis liefern, kann man sich leicht überlegen, wobei Abbildung 9 helfen soll:
- Laut Definition der Legendre-Fenchel-Transformation (siehe Gleichung (1) in Abbildung 8) wird zu einer gegebenen reellen Zahl a die Gerade y = ax betrachtet und berechnet, wie groß die Differenz ax - f(x) werden kann. Da es eventuell keinen x-Wert gibt, für den das Maximum angenommen wird, steht in der Definition das Supremum dieser Differenz (wobei das Supremum über alle erlaubten x-Werte gebildet wird). Man beachte, das für x → ±∞ die Differenz gegen -∞ geht, was nicht das Maximum sein kann.
- Ist die Funktion f(x) differenzierbar und konvex, so gibt es ein x0, bei dem das Maximum von ax - f(x) angenommen wird.
- Das Maximum wird dort angenommen, wo die Ableitung (nach x) von ax - f(x) gleich null ist.
- Da f(x) konvex ist, handelt es sich tatsächlich um ein Maximum.
- Die Legendre-Fenchel-Transformation kann dann mit der identischen Formel berechnet werden wie die Legendre-Transformation.
Beispiele zur Berechnung der Legendre-Transformation
Aufgaben
Im folgenden wird für mehrere Funktionen die Legendre-Transformation berechnet. Dabei wird nicht untersucht, ob die Voraussetzungen aus obiger Definition erfüllt sind. Zeigen Sie:
- Die Funktionen aus den folgenden Beispielen sind entweder konvex oder konkav.
- Die Ableitungsfunktion ist umkehrbar.
Das Beispiel der Exponentialfunktion aus der Einführung
Für das Beispiel der Exponentialfunktion, das zur Motivation der Definition der Legendre-Transformation verwendet wurde, wird in Abbildung 10 die Legendre-Transformation berechnet.
Legendre-Transformation einer quadratischen Funktion
Abbildung 11 zeigt die Berechnung der Legendre-Transformation einer quadratischen Funktion mit den Koeffizienten A, B, C:
f(x) = Ax2 + Bx + C,
wobei A nicht gleich 0 sein darf, um eine echte quadratische Funktion zu erhalten. Man beachte weiter: es ist unerheblich, dass die Funktion f(x) nicht umkehrbar ist. Die Berechnung der Legendre-Transformation erfordert die Umkehrbarkeit der Ableitung f'(x).
Abbildung 12 zeigt links den Graphen der Normalparabel, in die wieder für einige Punkte die Tangenten eingetragen sind. Da die "Startpunkte der Tangenten" für je zwei Tangenten übereinstimmen, werden die Punkte überdeckt (sichtbar ist dann die zuletzt eingetragene Farbe – hier von blau bis gelb). Rechts ist die Legendre-Transformation der Normalparabel gezeigt. Auf den ersten Blick scheinen die Funktionen identisch zu sein; an der unterschiedlichen Skalierung der x-Achse erkennt man allerdings, dass rechts keine Normalparabel aufgetragen ist. Die Zuordnung der Punkte auf dem Graphen rechts zu den Tangenten links ist wieder über die Farben leicht nachvollziehbar.
Nach der Rechnung in Abbildung 11 lautet die Legendre-Transformation der Normalparabel f(x) = x2:
f*(a) = a2 / 4.
Betrachtet man den Funktionsterm der Legendre-Transformation der allgemeinen quadratischen Funktion in Abbildung 11, so erkennt man, dass für
A = 1/2, B = 0 = C
die funktionale Abhängigkeit von f(x) und f*(a) übereinstimmen:
f(x) = x2 / 2 ⇒ f*(a) = a2 / 2.
Abbildung 13 zeigt für diesen Fall links wieder die Funktion mit einigen Tangenten und rechts die Legendre-Transformation, wobei die "zusammengehörigen" Punkte wie oben mit den entsprechenden Farben gekennzeichnet sind (da links manche Punkte übereinander liegen, werden sie von den später gezeichneten Punkten überdeckt).
Da die Achsen in Abbildung 12 und 13 unterschiedlich skaliert sind, sind die Abbildungen nur schwer miteinander zu vergleichen; in Abbildung 14 werden daher die Graphen nochmals dargestellt, aber mit einheitlich skalierten Achsen.
Aufgabe: Wie kann man den soeben gezeigten Beispielen sofort nachweisen, dass die Legendre-Transformation im Allgemeinen keine lineare Transformation im folgenden Sinne ist:
Eine Transformation, die eine reelle Funktion f in eine reelle Funktion L(f) abbildet, ist linear, wenn gilt:
- L(f1 + f2) = L(f1) + L(f2) und
- L(c·f) = c·L(f) für reelle Zahlen c.
Bemerkung: Da in die Berechnung der Legendre-Transformation L(f) die Berechnung der Umkehrfunktion der Ableitung f'(x) und die Umkehrung keine lineare Transformation ist, kann man nicht erwarten, dass die Legendre-Transformation linear ist.
Die Legendre-Transformation der Funktion x → 1/x
In der Thermodynamik benötigt man häufig die Legendre-Transformation von Funktionen der Art f(x) = 1/x oder f(x) = 1/xp mit einer positiven Potenz p. Für den einfacheren Fall f(x) = 1/x wird in Abbildung 15 die Legendre-Transformation berechnet. Da die Hyperbel zwei Äste besitzt, muss für jeden Ast eine eigene Legendre-Transformation berechnet werden; man beachte, dass ansonsten die Ableitung f'(x) nicht umkehrbar ist.
Abbildung 16 zeigt für den rechten Hyperbelast die Darstellung der Funktion, einiger Tangenten und der Legendre-Transformation.
Aufgabe: Skizzieren Sie die Legendre-Transformation für den negativen Ast der Hyperbel.
Die Legendre-Transformation der Funktion x → -x ln x
Abbildung 17 zeigt die Schritte zur Berechnung der Legendre-Transformation für die Funktion f(x) = -x ln x. Da -x ln x für x → 0 gegen null geht, kann man problemlos f(0) gleich null setzen. Auf der rechten Seite wird der Definitionsbereich bei x = 1 abgeschnitten.
Abbildung 18 zeigt links den Graphen der Funktion und rechts die Legendre-Transformation in der gewohnten Darstellung mit mehreren Tangenten. Da der Definitionsbereich von f(x) nur bis x = 1 geht, kann es keine Steigung f'(x) geben, die kleiner ist als -1; daher wird in der Legendre-Transformation die Fortsetzung unterhalb a = -1 nur gestrichelt eingetragen.
Aufgabe: In Abbildung 18 ist die Tangente zu x = 0, also am linken Rand des Definitionsbereichs, nicht eingetragen. Wie lautet die zugehörige Tangentengleichung? Identifizieren Sie den entsprechenden Punkt im Diagramm rechts für die Legendre-Transformation.
Weitere Fragestellungen
In dieser Einführung in die Legendre-Transformation sollte
- eine geometrische Veranschaulichung vermittelt werden,
- die Definition gegeben und diskutiert werden,
- Beispiele zur Berechnung gezeigt werden.
Betrachtet man die Beispiele, so stellen sich sofort weitere Fragen, die sich insbesondere dann aufdrängen, wenn man die Definition der Legendre-Transformation so umschreibt, dass eine gewisse Symmetrie zwischen f(x) und f*(a) erkennbar ist:
f(x) + f*(a) = x·a.
Man muss bei dieser Gleichung allerdings beachten, dass x und a keine unabhängigen Variablen sind, sondern über
a = f'(x)
zusammenhängen.
- Wie übertragen sich Eigenschaften der Funktion f(x) auf die Legendre-Transformation f*(a)?
- Da die Variablen x und a über a = f'(x) zusammenhängen, wird man erwarten, dass insbesondere die Ableitungen von f(x) und f*(a) (und dann auch die höheren Ableitungen) enger miteinander verknüpft sind als es bisher festgestellt wurde.
- Für die Definition der Legendre-Transformation wurde vorausgesetzt, dass f(x) differenzierbar und konvex ist. Gilt dies auch für f*(a) oder nur bei speziellen Funktionen f(x)? Falls nur für spezielle f(x): wie lassen sie sich charakterisieren?
- Wenn f*(a) differenzierbar und konvex ist, so ist auch die Legendre-Transformation von f*(a) wohldefiniert und man kann die Gleichung f**(x) + f*(a) = a·x aufstellen. Folgt aus dieser Gleichung schon, dass f(x) und f**(x) immer übereinstimmen?
- Die rechte Seite von f(x) + f*(a) = x·a erinnert an die Fläche eines Rechtecks mit Seitenlängen x und a. Gibt es etwa eine geometrische Interpretation der Legendre-Transformation, in der auch f(x) und f*(a) als Flächen gedeutet werden können, die sich zur Rechtecksfläche x·a addieren?
- Oben wurde schon festgestellt, dass die Legendre-Transformation keine lineare Transformation ist. Gibt es andere Verknüpfungen von Funktionen, die durch die Legendre-Transformation auf eine einfache Art wiedergegeben werden? (Man denke dabei etwa an die Faltungssätze der Fourier- und Laplace-Transformation.)
- Hier wurden lediglich eindimensionale Funktionen behandelt. Lässt sich die Legendre-Transformation auch auf mehrdimensionale Funktionen übertragen?